Warum Schlafmangel puren Stress bedeutet

Ich erinnere mich an eine interessante Publikumsfrage nach meinem letzten Schlafvortrag: „Kann ich lernen, meinen Schlaf zu optimieren und weniger zu schlafen?“ Spontan kam mir Boris Herrmann in den Sinn, ein Profi-Segler, der 2020 bei der Vendee Globe – Regatta in zwei Monaten einmal um die Welt segelte. Er trainierte lange, um mit immer wiederkehrenden 15-minütigen Power-Naps auszukommen. Insgesamt schlief er dennoch 6 Stunden pro Tag, nicht viel weniger als der Durchschnitt.

Mal abgesehen davon, dass ich es nicht alltagstauglich finde, in Etappen zu schlafen, so scheint es aber mit sehr viel Übung und Durchhaltevermögen für eine Zeit lang zu funktionieren. 

 

Weniger zu schlafen ist in der Natur des Menschen scheinbar nicht vorgesehen. Wofür brauchen wir aber das Land der Träume und was passiert dann im Körper? Was hat das mit unserem Ernährungsverhalten zu tun?

 

 

1.     Warum schlafen wir? 

Ein Koala schlummert 22 h, ein Elefant 3 h/Tag und wir erwachsenen Menschen benötigen irgendetwas in der Mitte: ca. 7-9 Stunden Schlaf, um unsere Batterien wieder aufzuladen und uns zu regenerieren. Es gibt auch „Ausreißer“: manche benötigen nur 6 Stunden, manche 10 Stunden. Auch das Alter und Geschlecht beeinflussen die Schlafdauer: Kind und Frauen benötigen mehr, Senioren und Männer weniger Schlaf. Einen „gesegneten“ Schlaf haben vor allem Kinder. Denn je älter wir werden, desto häufiger wachen wir nachts auf. 

 

Was passiert im Körper?

Hausputz: während man schlummert, räumt der Körper auf. Er drückt die Reset-Taste. Ein guter Schlaf unterstützt das Immunsystem bei seiner Arbeit. Bereits eine verkürzte Nacht (3 Stunden Schlaf weniger) führt dazu, dass die Abwehrzellen (T-Zellen) weniger aktiv sind und sich nicht gut an Krankheitserreger andocken können, um sie zu beseitigen.

 

Lernen und Gedächtnis: das Gehirn funktioniert nachts wie die Ablage. Das, was an wichtigen Tagesinformationen eingesammelt wurde und wichtig ist, kommt in den Aktenordner (=Hirnrinde) für einen dauerhaften Zugriff. Alles andere in den Aktenvernichter. Gibt es nicht genügend Tiefschlafphasen (z.B. durch zu viel Koffein oder Alkohol), dann werden diese Aufräumarbeiten gestört.

Das Gehirn schläft übrigens nicht die ganze Nacht! Man spricht vom sogenannten Netzwerk-Phänomen: die linke Gehirnhälfte ist „wachsam“. Das begründet auch, warum wir an fremden Orten (andere Geräusche, Umgebung) nachts weniger gut schlafen als im eigenen Bett.

 

Hormonelles Gleichgewicht: besonders interessant finde ich den Bezug zum Thema Stressessen. Jede Stunde weniger Schlaf führt zu vermehrtem Hunger und Appetit, da die Sättigungshormone durcheinandergeraten. Man isst mehr, auch wenn dies nicht durch zusätzlichen Sport zu rechtfertigen ist. 

Und: unzureichender Schlaf macht sensibler gegenüber Nahrungsreizen. Der Süßigkeiten-Schale im Büro oder der grandiosen Kuchenauswahl beim Bäcker zu widerstehen, kommt einem Kraftaufwand gleich. 

Es scheint also so, dass der Körper die Hormone nachts in Balance bringt.

 

Diese Gründe (es gibt noch zahlreiche mehr, das waren hier die Wichtigsten) sind ausreichend, um sich um einen guten Schlaf zu kümmern, oder?

 

 "Jede Stunde weniger Schlaf führt zu vermehrtem Hunger und Appetit"

 

 

2.     Schlafstörungen

Schlafprobleme sind keine Seltenheit! Ein Drittel aller Deutschen sagt von sich, dass sie schlecht schlafen. Man spricht nur nicht darüber.

 

Und es betrifft jede Altersgruppe: die Kleinsten müssen das regelmäßige Schlafen noch lernen, ein Drittel aller Schüler leiden unter Schlafstörungen, Studenten schlafen aufgrund anstehender Prüfungen schlecht, bei Berufstätigen führen Probleme im Job zum Grübel-Karussell und auch im ersehnten Rentenalter hören die Schlafstörungen nicht auf. 

 

Dauerhafter Schlafentzug bedeutet puren Stress für den Körper: man fühlt sich unkonzentriert, abgeschlagen ist genervt und unleidig. Schlafentzug gehört sogar zu den Foltermethoden: alle 15 Minuten aufwecken, bei grellem Licht schlafen, gar nicht schlafen lassen. Ich möchte gar nicht näher daran denken. 

 

Es gibt viele verschiedene Schlafstörungen. Neben Alpträumen, dem Nachtschreck oder REM-Schlafverhaltensstörungen sind Insomnien häufig. Dabei handelt es sich um Ein/Durchschlafstörungen oder frühzeitiges Erwachen. Aus Erfahrung mit meinen Coaching-Teilnehmern sind diese meist stressbedingt. Ein gutes Stressmanagement und einfach umzusetzende Schlaf-Tipps reduzieren diese. Auch eine Psychotherapie ist empfehlenswert.

 

Hypersomnien treten als Tagesschläfrigkeit auf: man ist müde, unkonzentriert und energielos. Bekannt ist hier der Sekundenschlaf vor allem bei monotonen Tätigkeiten, wie z.B. dem Autofahren. Diese abnorme Tagesschläfrigkeit kann durch endokrinologische und neurologische Erkrankungen oder Medikamente verursacht werden. Nicht selten erlebe ich, dass hinter der Tagesmüdigkeit eine Schlafapnoe steckt. Das sind Atemaussetzer, die dringend ärztlicher Behandlung bedürfen.

 

 

 "Schlafentzug bedeutet puren Stress für den Körper!"

 

3.     ­Welcher Schlaftyp bin ich und warum ist das wichtig?

Es gibt drei Arten von Schlaftypen: die Eulen, die Lerchen und eine Mischform, die Leulen.

Eulen kommen morgens schwer aus den Federn, können aber lange wach bleiben und bis in den späten Abend arbeiten. Lerchen dagegen sind Frühaufsteher und morgens topfit. Dafür ist abends früher Schluss. Leulen liegen irgendwo dazwischen…Welchem Typ man entspricht, ist genetisch bedingt, relativ stabil und schwer veränderbar. 

Als Eule fällt einem also ein Arbeitsbeginn um 7 Uhr schwer, die Lerche dagegen ist „on“. Finden Sie heraus, welcher Schlaftyp Sie sind. Kommt Ihnen Ihre Arbeitszeit entgegen? Nicht immer ist das möglich, aber vielleicht können Sie ggf. etwas ändern, damit Sie sich besser fühlen.

Wie finde ich aber heraus, welcher Schlaftyp ich bin? Am besten im Urlaub! Ohne Wecker und nach eigenem Zeitgefühl in sich spüren, ob man eher der Frühaufsteher oder der der frühe Vogel kann mich mal-Typ ist.

 

 

10 Schlaf-Tipps

Eine sinnvolle Behandlung von Schlafstörungen richtet sich nach den Ursachen.  

Grundsätzlich sind folgende Punkte von Bedeutung:

·      Herausfinden, wieviel Schlaf man benötigt und welcher Schlaftyp man ist: kann ich meinen Alltag nach meinem Schlaftyp richten? 

·      Es klingt abgedroschen, dennoch: Alkohol und Koffein stören den Schlaf. Fragen Sie sich, ob ein reduzierter Alkohol- und Koffeinkonsum hilft, Ihre Schlafqualität zu verbessern (Schlaftagebuch schreiben)?

·      Tageslicht tanken, abends keine Festbeleuchtung

·      Das Schlafzimmer gemütlich einrichten, Arbeit vom Schlaf trennen: das bedeutet, kein Bügelbrett und keine Büro-Aktenberge im Schlafzimmer deponieren

·      Regelmäßige Schlafzeiten, auch am Wochenende (zumindest fürs Erste)

·      Max. ein Power-Napping am Mittag, spätestens um 14 Uhr

·      Eine Abendroutine einführen: ein Abendritual wie z.B. eine Tasse Tee, ein Lavendelöl oder eine heiße Dusche bereiten den Körper auf den Schlaf vor

·      Nachts nicht auf die Uhr sehen

·      Nicht vor dem Fernseher einschlafen, das baut den Schlafdruck auf und man kann dann im Bett nicht mehr schlafen

 

Wichtig: wenn Sie schlafen wollen, dann können Sie nicht schlafen!

Schlaf kann nicht erzwungen werden!

 

Was ist mit Schlafmitteln? Verschreibungspflichtige Schlafmittel wie Benzodiazepine bergen ein großes Abhängigkeitspotenzial: in Deutschland kommen ca. 1,2 Millionen Menschen nicht mehr davon los – die Dunkelziffer ist mit Sicherheit höher. Melatonin kann beim Einschlafen hilfreich sein, aber die Datenlage ist genauso wie bei Schlaftees, Lavendelöl etc. umstritten. Dagegen ist eine kognitive Verhaltenstherapie beim Psychologen sehr hilfreich. Sollte Stress der Auslöser für Schlafstörungen sein, dann vereinbaren Sie gerne ein Coaching-Kennenlerngespräch. Hier kann ich Ihnen kompetent weiterhelfen.

 

Und wie erging es dem Profi-Segler? Er schaffte es weit nach vorne. Doch kurz vor dem Ziel wurde ihm sein Power-Nap zum Verhängnis. Er kollidierte mit einem Fischerboot. Glücklicherweise entstand nur Sachschaden und er kam als Dritter ins Ziel. Bravo!

 

 

 

 

 

Literatur: 

  • https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/schlafstorungen-im-alter-warum-die-krankheit-unterschatzt-wird-und-was-betroffenen-helfen-3059.php
  • TK-Schlafstudie 2017
  • Ernährungs-Umschau: Metabolisches Syndrom: Zu kurzer und zu langer Schlaf stören den Stoffwechsel, 04.11.2016